FIT DURCH WUNDER
Irène Hug, Wolf von Kries, Sofia Hultén, Walter
Yu, Bettina Carl, Ina Bierstedt
Konzipiert von CAPRI Berlin
Ausstellungsstart: Samstag, 5.12.2020 / 13-20 Uhr und Sonntag,
6.12.2020 / 12-18 Uhr (OPEN SUNDAY)
Ausstellungsdauer: 9. - 19. Dezember 2020 / 13. Januar - 6. Februar 2021
Specials:
- Videoscreening
Ingeborg Lockemann / Elke Mohr
"Als wir Freizeit hatten und uns erholten", Video,
7:55 min, 2019
LAURA MARS GALLERY
Bülowstraße 52 / 10783 Berlin / lauramars.de
Öffnungszeiten: Mi - Fr 13-19 Uhr, Sa 13-18 Uhr
facebook + Instagram: lauramarsgallery
Wie Fundstücke, über die man im Alltag stolpert, haben sich
drei Wörter zu einem Titel formiert: FIT DURCH WUNDER. In den Randzonen
unserer Wahrnehmung sammelt sich beständig Ausrangiertes an, Nebensachen,
die auf ebenso fragmentarische wie prägnante Weise von gesellschaftlichen
Verhältnissen zeugen. Auch die Künstler*innen der Ausstellung
beziehen sich auf Gefundenes; so arbeitet Wolf von Kries
häufig mit Ready Mades, während Irène Hug
ihr Material in den Beschriftungen findet, die unsere Lebenswelt in Form
von Werbung und Anweisungen überziehen. Walter Yus
Keramikobjekte deuten das Motiv der Stadt als Höhlensiedlung, Palastbezirk
oder Ruinenfeld. Ina Bierstedt und Bettina Carl
unterziehen das scheinbar Bekannte, das in den figurativen Andeutungen
ihrer Gemälde und Zeichnungen auftritt, vielschichtigen Verfremdungsprozessen.
Sofia Hultén sprengt in ihren ebenso nüchternen wie radikalen
Arbeiten vertraute Relationen zwischen unserem körperlichen Ich und
den Dingen unserer Alltagsumgebung.
Fit sein ... Das gibt es für uns vor allem im Futur. Es steht für
die Hoffnung, dass es uns doch demnächst gelingen könnte, uns
aufzuraffen und das Ruder herumzureißen. Meist bleibt dies eine
etwas realistischere Variante des unausgesprochenen, aber tiefsitzenden
Glaubens daran, dass wir - ausnahmsweise -, dem Tod eben doch dereinst
von der Schippe springen werden.
Im Englischen, nach Darwin und Spencer, bezeichnet Fitness die Fähigkeit
von Lebewesen, sich ihren Umweltbedingungen anzupassen. Im Deutschen dagegen
ist Fitness der Lohn der Ertüchtigung. Die durfte früher auch
geistiger Natur sein und vom Sessel aus betrieben werden. Die Industrialisierung
brachte dem Bürgertum neue Bequemlichkeiten und ein schlechtes Gewissen,
denn schließlich war nur der Adel per Geburt für den Müßiggang
bestimmt. So konnte das Turnen, das eigentlich keine Arbeit ist, als paramilitärisches
Training à la Friedrich Ludwig Jahn, aber auch als privater Zeitvertreib
rasch den Status einer überaus tugendhaften Aktivität erlangen.
Gleichzeitig mit dem Sport kam die quasi-religiöse Verehrung der
Natur in Mode, die nicht zuletzt durch die Luftverschmutzung in den Städten
beflügelt wurde und bis heute nachwirkt.
Noch immer lassen sich mit Fitness, Naturkult und der zerstörerischen
Ausbeutung von Ressourcen gute Profite erzielen. Wir halten diese Phänomene
für so natürlich, wie uns ihre Abfallprodukte unvermeidlich
scheinen. Manche dieser Überbleibsel der Zivilisation liefern Stoff
für die Kunst, als Motiv oder konkret als Material: Im Müll
finden sich mitunter auch Teile, denen als Objets Trouvés tatsächlich
ein zweites, beinahe ewiges Leben geschenkt wird. Es gibt also noch Wunder.
Text: Bettina Carl
Anlässlich der Ausstellung FIT DURCH WUNDER zeigen wir
die Videoarbeit von
Ingeborg Lockemann / Elke Mohr
"Als wir Freizeit hatten und uns erholten", Video,
7:55 min, 2019
Im Video beschäftigen sich die Künstlerinnen mit einigen der
zahlreichen figürlichen Plastiken und Skulpturen, die charakteristisch
für den öffentlichen Raum von Frankfurt/Oder sind und zwischen
1955 und 1990 entstanden. Die Künstlerinnen versuchen, die Körperhaltungen
der Figuren nachzustellen, um dem Ausdruck der Werke und den zugrundeliegenden
Vorstellungen auf eine praktische Weise auf die Spur zu kommen. Es gibt
viele Körperhaltungen und -formen zu beobachten, die an „Erholung
und Freizeit“ denken lassen (so auch der Titel einer Skulptur von
Friedemann Klos). Ein wiederkehrendes Motiv sind ruhende, sitzende oder
hockende Frauen, die meist nackt dargestellt wurden. Nimmt man die Körperhaltungen
der Figuren ein, zeigt sich allerdings, dass sie oft recht unbequem und
wenig aus dem Leben gegriffen sind. Die Skulpturen präsentieren den
(meist) weiblichen Körper in unterschiedlichen Modellposen, die nichts
Selbstverständliches haben.
Das Video entstand für die Ausstellung „Urbane Kommentare“
im Brandenburgischen Landesmuseum, Packhof Frankfurt/Oder.

Ingeborg Lockemann / Elke Mohr, Als wir Freizeit hatten und uns erholten,
2019 (videostill)
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FIT DURCH WUNDER
Irène Hug, Wolf von Kries, Sofia Hultén, Walter
Yu, Bettina Carl, Ina Bierstedt
Concept by CAPRI Berlin
Exhibition starting December 5, 1-8 pm and December 6, 2020 during
OPEN SUNDAY 12-6 pm
Duration: 9. - 19. December 2020 / 13. January - 6. February 2021
LAURA MARS GALLERY
Bülowstraße 52 / 10783 Berlin / lauramars.de
Opening Hours: Wed–Fri 1-7, Sat 1-6 pm
Very much like found objects that you stumble upon in everyday life, three
words have formed a title: FIT DURCH WUNDER [FIT THROUGH MIRACLES]. In
the periphery of our perception, discarded objects are constantly accumulating
– trivial things that bear witness to social conditions in a way
that is as fragmentary as it is significant. The artists featured in the
exhibition also employ things they, have found. Wolf von Kries
often uses readymades in his work. Irène Hug finds
her material in the inscriptions that clutter our living environment in
the form of advertising and instructions. Walter Yu's
ceramic objects interpret the city as a cave settlement, palace district,
or site of ruins. Ina Bierstedt and Bettina Carl
apply complex processes of alienation to the seemingly familiar that appears
in the figurative allusions of their paintings and drawings. In her works,
which are as sober as they are radical, Sofia Hultén
disrupts familiar relations between our physical self and the things of
our everyday environment.
Being fit ... That is very much a matter of the future for us and stands
for the hope that we might soon be able to pull ourselves together and
change course. Usually this remains a more realistic variant of our unspoken
but deep-seated belief that we – as an exception – will one
day be able to escape death for good.
According to Darwin and Spencer, fitness refers to the ability of living
beings to adapt to their environment. In German, however, fitness describes
the reward of physical exercise. In the past, exercise could also be of
an intellectual nature – an armchair activity.
Industrialization gave the bourgeoisie new comforts and a guilty conscience;
only the nobility was destined by birth to idleness, after all. Thus,
gymnastics, although not really work, could quickly attain the status
of an extremely virtuous activity, not only as paramilitary training à
la Friedrich Ludwig Jahn but also as a private pastime. Sports came into
fashion at the same time as the quasi-religious worship of nature, which
was fuelled not least by the air pollution in the cities and continues
to have an effect to this day.
Considerable profits can still be made off fitness, the cult of nature,
and the destructive exploitation of resources. We regard these phenomena
to be as natural as their waste products seem inevitable to us. Some of
these remnants of civilization provide material for art, be it as a motif
– or quite literally as material: in our garbage, there are sometimes
items that are actually given a second, almost eternal life as objets
trouvés. So there are still miracles.
Text: Bettina Carl
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